130-Prozent-Grenze bei Unfallregulierung, Urteil AG Moers

130-Prozent-Grenze bei der Unfallregulierung

Die 130-Prozent-Grenze bei der Unfallregulierung ist für die Frage entscheidend, ob noch nach einem Kostenvoranschlag oder einem Reparaturgutachten bzw. ob der Pkw überhaupt noch mit der Erwartung, dass eine Erstattung durch die gegnerische Versicherung erfolgt, repariert werden darf. Eine bemerkenswerte Entscheidung des Amtsgerichts Moers zur Frage eine 130-Prozent-Grenze-Reparatur bei einem gebrauchten, älteren Pkw im Verhältnis zum Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert konnte RA Reissenberger herbeiführen.
Das Amtsgericht kommt zu dem Ergebnis, dass das zur Reparatur berechtigende sog. Intergritätsinteresse auch dann gegeben ist, wenn zwar nach dem Gutachten keine typische 130-Prozent-Grenze-Situation vorliegt, also die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30% übersteigen, die tatsächlich durchgeführte fachgerechte Reparatur sich jedoch innerhalb der 130-Prozent-Grenze bei der Unfallregulierung bewegt. Das AG Moers hat die BGH-Rechtsprechung also auch auf Fälle erstreckt, die eigentlich nicht unter die typische 130-Prozent-Grenze-Rechtsprechnung fallen. Denn die typische 130-Prozent-Grenze-Rechtsprechnung geht davon aus, dass stets eine fachgerechte Reparatur nach einem Schadensgutachten in Rede steht. Daran fehlte es hier.
Der BGH unterscheidet grob 4 Fälle zur 130-Prozent-Grenze. Hier sollten Sie einen in diesem Bereich versierten Anwalt aufsuchen, der mit der BGH-Rechtsprechung zur 130-Prozent-Grenze vertraut ist, damit Ihnen keine Nachteile entstehen.
Die Versicherung wurde zur zur Zahlung des vollständigen Reparaturschadens innerhalb der hier in Rede stehenden 130-Prozent-Grenze verurteilt.
Urteil des Amtsgerichts Moers, 558 C 24/08, zur Frage eine 130-Prozent-Grenze-Reparatur bei einem gebrauchten, älteren Pkw im Verhältnis zum Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert.

 

 

Beglaubigte Abschrift
558 C 24/08

 

Amtsgericht Moers

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

 

In dem Rechtsstreit
der Frau …
Klägerin,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Reissenberger, Sven, Ostenhellweg 53, 44135 Dortmund,
g e g e n
Beklagte,
Prozessbevollmächtigte:
hat das Amtsgericht Moers im vereinfachten Verfahren gemäß § 495 a ZPO ohne mündliche Verhandlung am 14.05.2008 durch den Richter am Amtsgericht Hubert für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 286,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 04.12.2007 zu zahlen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Der Klägerin steht der klageweise gegenüber der Beklagten geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 286,73 EUR gemäß § 3 PflVG in Verbindung mit § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zu.

Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat, wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Für die Berechnung von Kraftfahrzeugschäden stehen dem Geschädigten im allgemeinen zwar im Wege der Naturalrestitution zur Verfügung.
Die Reparatur des Unfallfahrzeuges oder die Anschaffung eines (gleichwertigen) Ersatzfahrzeugs. Macht der Geschädigte Reparaturkosten geltend, so ist in der Rechtsprechung anerkannt. dass dann, wenn die Reparaturkosten nicht mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs liegen, der Geschädigte Anspruch auf Erstattung der vollen Reparaturkosten hat.

 

Voraussetzung für diesen sogenannten Integritätszuschlag ist, dass der Geschädigte sein besonderes Integritätsinteresse an dem Fahrzeug dadurch zum Ausdruck bringt, dass er durch Vornahme der Reparatur sein Interesse an dem Erhalt seines Fahrzeugs nachgewiesen hat.

 

Dieser Integritätszuschlag ist auch dann geschuldet, wenn wie vorliegend die Reparatur nach gutachterlicher Schätzung mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswerts kosten würde, die Reparatur tatsächlich aber mit einem Kostenaufwand von weniger als 130 % durchgeführt worden ist. Die von einem Schadensgutachter lediglich geschätzten Reparaturkosten können, müssen aber nicht notwendigerweise dem erforderlichen Herstellungsaufwand im Sinne von § 249 Abs. 2 BGB entsprechen. Keineswegs legt das Schätzgutachten den zu beanspruchenden Schadensersatz für die Reparatur bindend fest. Maßgeblich sind die tatsächlich anfallenden Reparaturkosten. Insofern ist es vorliegend unerheblich, dass die vom Sachverständigen im seinem Gutachten vom 02.11.2007 geschätzten Reparaturkosten den berechnenden Wiederbeschaffungswert von 800,00 EUR unweit mehr als 130 % übersteigen. Bei einem Wiederbeschaffungswert von 800,00 EUR liegt die für die Erstattung der Reparaturkosten maßgebliche Grenze von 130 % des Wiederbeschaffungswertes bei 1.040,00 EUR.

 

Die Klägerin hat Reparaturkosten in Höhe von 1.031,73 EUR aufgewendet und sich damit unterhalb der 130 % Grenze gehalten. Es handelt sich vorliegend auch nicht um den Fall einer wirtschaftlich unvernünftigen Reparatur des beschädigten Fahrzeugs. Anders wäre dies möglicherweise zu beurteilen gewesen, wenn die Klägerin eine Instandsetzung nach Maßgabe der Kostenkalkulation des Sachverständigen veranlasst hätte. Wer sich aber um eine preisgünstige Instandsetzung bemüht, ohne rechtlich dazu verpflichtet zu sein, verdient auch dann keine Missbilligung, wenn das Motiv eine Senkung der Kosten unter die 130 % Grenze ist. Voraussetzung ist nur, dass der Geschädigte durch Vornahme der Reparatur sein Integritätsinteresse an dem Erhalt seines Fahrzeugs nachgewiesen hat, wobei es ausschließlich darauf ankommt, ob die Reparatur entsprechend Alter und Laufleistung des Fahrzeuges ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, wobei eine sogenannte „zeitwertgerechte“ Reparatur mit Gebraucht- oder Ersatzteilen ausreichend ist. Dies gilt auch dann, wenn eine Reparatur nicht optimal ausgeführt worden ist und noch Reparaturspuren oder optische Beeinträchtigungen erkennbar sind.

 

Aus der Rechtsprechung des BGH zur 130 % Grenze ist auch nicht ersichtlich, dass ein Geschädigter die Reparatur seines beschädigten Fahrzeuges immer und ausschließlich mit Neuteilen durchführen lassen muss. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Geschädigte entsprechend dem Zweck des § 249 BGB durch die Reparatur sein Fahrzeug in einen Zustand versetzt, in dem es ohne das schädigende Ereignis stünde. Gerade deshalb ist es auch sachgerecht, wenn bei einem älteren Fahrzeug dieses seinem Alter entsprechend „zeitwertgerecht“ durch Verwendung von Gebrauchtteilen repariert wird.

 

Wenn eine solche Reparatur innerhalb einer Kostenobergrenze von 130 % des Wiederbeschaffungswerts durchführbar ist, steht dem Geschädigten auch volle Erstattung der Reparaturkosten zu. Das schutzwürdige Integritätsinteresse am Erhalt des beschädigten Fahrzeugs ist bereits dann dargetan, wenn der Geschädigte den vor dem Unfall bestehenden Zustand im Rahmen einer Reparatur durch den Einbau von Teilen ‐ neuen oder gebrauchten Ersatzteilen ‐ erreichen lässt, die den beschädigten Fahrzeugteilen ungefähr gleichwertig sind, ohne dass deswegen von einer Teil- oder kommt es insoweit nicht an.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre rechtliche Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Streitwert: 286,73 EUR
Huben
Beglaubigt
Podzsus
Justizbeschäftigte