Beschluss OLG Hamm, Geschwindigkeitsmessung Riegl FG

RA Reissenberger bearbeitet in der täglichen Praxis ständig Bußgeldsachen. Gelegentlich kann auf direktem Wege durch Verhandlungen mit dem Gericht die Aufhebung eines Fahrverbots nicht erreicht werden. Durch die langjährige Erfahrungen fallen jedoch häufig Missstände bei der Messung oder dem Messungsaufbau auf, so dass im Wege eines Beweisantrags beantragt wird, diese Umstände einer sachverständigen Prüfung zu unterziehen. Die Amtsgerichte mögen das nicht und lehnen häufig die Beweisaufnahme ab oder gehen auf die Argumentation der Verteidigung nicht ein, so dass es zu einem negativen Urteil kommt. In einem solchen Fall konnte RA Reissenberger aufgrund seiner Erfahrung im Wege einer Rechtsbeschwerde, deren Erfolgsquote wie bei Revisionen statistisch an sich nur bei ca. 1- 3 % liegt, die Aufhebung des negativen Urteil erreichen und damit den Entzug der Fahrerlaubnis verhindern, da sich RA Reissenberger wegen seiner langjährigen Erfahrung auf die Einhegung von Rechtsbeschwerden spezialisiert hat. Von solch einer Situation handelt der nachstehende Aufhebungsbeschluss des OLG. Es geht um eine Geschwindigkeitsmessung Riegl FG 21-P 2,00 (Messgerät).

 

 

Eingang 10. Juli 2013 RA Reissenberger

OBERLANDESGERICHT HAMM

BESCHLUSS

 

III- 1 RBs 37/13 OLG Hamm
6 Ss OWi 145/13 GStA Hamm
737 – OWi 207 Js 1935/12 − 748/12 AG Dortmund

Bußgeldsache

 

g e g e n …  Dortmund,
Verteidiger: Rechtsanwalt Reissenberger, Ostenhellweg 53, 44135 Dortmund
w e g e n Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 04.12.2012 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 28. Juni 2013 durch die Richterin am Oberlandesgericht Giesert als Einzelrichterin (§ 80 a Abs. 1 OWiG) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers
b e s c h l o s s e n :

Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen, mit Ausnahme der Feststellungen zu der Fahrereigenschaft des Betroffenen sowie dazu, dass der Betroffene bei der Fahrt am 11.06.2012 seinen Führerschein nicht mit sich führte, die aufrechterhalten bleiben, aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:

 

I.

Der Betroffene wurde durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 04.12.2012 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Tateinheit mit „Nichtmitsichführens“ des Führerscheins zu einer Geldbuße von 165 € sowie einem einmonatigen Fahrverbot unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2a StVG verurteilt.
Nach den Urteilsfeststellungen überschritt der Betroffene am 11.06.2012 mit seinem PKW Audi mit dem amtlichen Kennzeichen DO-… außerhalb geschlossener Ortschaften auf der Mallinckrodtstraße in Fahrtrichtung Osten in Dortmund die durch ein 675 von der Messanlage entfernt aufgestelltes Verkehrszeichen angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h unter Berücksichtigung eines Toleranzabzuges von 4 km/h um 41 km/h, wobei er außerdem seinen Führerschein nicht mit sich führte. Die Messung erfolgte mit einem Messgerät des Typs Riegl FG 21-P aus einer Entfernung von 623 Metern. Der Betroffene hätte die aufgestellten Verkehrszeichen – die zulässige Höchstgeschwindigkeit war zunächst auf 80 km/h herabgesetzt worden – erkennen können und seine Geschwindigkeit hierauf einrichten müssen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der eine Verletzung formellen und sachlichen Rechts gerügt wird.

 

II.
Die Rechtsbeschwerde hat mit der Rüge der Nichtbescheidung des in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrages in der Sache vorläufig Erfolg.

Der Verfahrensverstoß führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang und zu einer Zurückvewveisung der Sache an das Amtsgerichts Dortmund. infolge. dessen kann es dahingestellt bleiben, ob die außerdem erhobene Sachrüge durchgreift, da diese der Rechtsbeschwerde jedenfalls nicht zu einem weitergehenden Erfolg hätte verhelfen können.

Der Verteidiger des Betroffenen hat, wie sich aus der Sitzungsniederschrift vom 04.012.2012 ergibt, in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht folgenden Antrag gestellt:

 

„Beweisantrag
Zum Beweis der Tatsache, dass die hier in Rede stehende Messung unwirksam ist, wird beantragt, ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Begründung:
Der Messbeamte hat bekundet, die Messung in einer Entfernung von 623 m durchgeführt zu haben. Er hat ferner bekundet, dass die eigentliche Messung reflektionsbedingt vielleicht bei einer Entfernung von 630 m gelegen haben könnte. Ferner hat er bekundet, dass er das bei einer Messung in einer derartigen Entfernung das „Herauspicken“ des Pkw schon sehr viel früher erfolgt. Das muss dann zwangsläufig in dem hier konkreten Falle bei einer Entfernung von ca. 700 m gewesen sein oder noch weiter. Das bedeutet, dass der messgeräteimmanente Messkegel und seine Erweiterung bei dieser Entfernung so groß ist, dass nicht mehr ausgeschlossen werden kann, dass kein anderes Fahrzeug versehentlich gemessen wurde, zumal hier um 15:40 Uhr Berufsverkehr herrschte und auch das Protokoll keine Aussage darüber trifft, dass der nötige Abstand zum Seiten-Pkw eingehalten wurde.“

 

Ausweislich der Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts Dortmund vom 04.12.2013 wurde diesem Antrag weder stattgegeben noch über diesen Antrag in der Hauptverhandlung entschieden. Bei dem vorgenannten Antrag handelte es sich um einen Beweisantrag. Denn er enthielt im Rahmen seiner Begründung die Tatsachenbehauptung, dass der Laserstrahl des Messgeräts angesichts der Entfernung, aus der die Messung erfolgte, eine derart erhebliche Aufweitung aufgewiesen hat, dass versehentlich ein anderes Fahrzeug als dasjenige des Betroffenen von ihm erfasst und gemessen worden sein könnte. Gleichzeitig wird als greifbarer Anhaltspunkt für eine solche Fehlmessung dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Messung um 15.40 Uhr Berufsverkehr, also reger Verkehr herrschte. Die weitere Angabe, das Protokoll – gemeint sein dürfte ersichtlich das Messprotokoll – enthalte keine Eintragung dazu, ob der nötige Abstand zum „Seiten-PKW“ eingehalten worden sei, enthält zumindest konkludent die Behauptung, dass sich zum Messzeitpunkt seitlich von dem Fahrzeug des Betroffenen ein anderer PKW befunden hat. Da dem Antrag nicht stattgegeben worden ist, hätte die Ablehnung des Antrags gemäß § 244 Abs. 6 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 StPO durch Beschluss in der Hauptverhandlung erfolgen müssen. Die unterbliebene Bescheidung war daher rechtsfehlerhaft.

Es ist auch davon auszugehen, dass das Urteil auf der unterbliebenen Entscheidung beruht. Denn es ist nicht auszuschließen, dass der Betroffene bei einer ablehnenden Bescheidung in der Hauptverhandlung sein Verteidigungsverhalten hierauf abgestellt und dadurch eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung erwirkt hätte.

Ein Beruhen kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, dass der Beweisantrag rechtsfehlerfrei gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG hätte abgelehnt werden können. Ist ein Beweisantrag nicht oder rechtsfehlerhaft abgelehnt worden, ist es dem Rechtsmittelgericht grundsätzlich verwehrt, eine rechtsfehlerfreie Begründung nachzuliefern (vgl. BGH, Beschluss vom 18.10.2011, −1 StR 336/11 ‐ ; Bay ObLG NZV 1996, 211).

Im Übrigen merkt der Senat an, dass der Beweisantrag jedenfalls nicht mit der sich aus den Urteilsgründen ergebenen Begründung gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG hätte abgelehnt werden können.

Das Amtsgericht hat sich auf die Zeugenaussage des Messbeamten gestützt, der nach den Urteilsgründen u. a. erläutert hat, dass bei der Entfernung von 623 Metern, aus, der das Fahrzeug des Betroffenen, gemessen worden sei, kein zweites Fahrzeug in das Visierfeld des Geräts hätte eintreten können (Hervorhebung durch den Senat), da der Laserstrahl dieses Messgeräts bei einer Messentfernung von rund 620 m eine maximale Strahlenausweitung von 1,20 m habe und insofern bei der vorgenommenen Fixierung des Kennzeichens die Messung eines parallel fahrenden Fahrzeugs ausgeschlossen sei.

Zwar beträgt die nominelle Laserstrahlaufweitung (Wert des Messstrahldurchmessers) bei dem Messgerät Riegl FG 21-P 2,00 mrad (Aufweitung um 20 cm pro 100 Meter), so dass sich bei einer Messentfernung von ca. 620 Metern eine nominelle Strahlaufweitung von 1,24 Metern ergibt. Es ist allerdings nicht allein auf die nominelle Messstrahlaufweitung, sondern es ist auf den sogenannten „messwirksamen Zielerfassungsbereich“ (möglicher messwirksamer Bereich) abzustellen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20.07.2010 – 3 RBs 242/09 – ). Dieser beträgt unter Berücksichtigung von Justiertoleranzen und möglichen Zielungenauigkeiten bei dem hier verwendeten Messgerät 5 mrad (Aufweitung um 50 cm pro 100 Meter; vgl. Löhle, Löhle in Beck/Löhle, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 10. Aufl., Rdnr. 304ff; Neidel in Burhoff/NeideI/Grün, Geschwindigkeits- und Abstandsmessungen im Straßenverkehr, Rdnr. 273) und ist durch eine kreisförmige Zielmarke gekennzeichnet (vgl. Löhle a.a.O.). Bei einer Messentfernung von 623 Metern ergibt sich ein messwirksamer Bereich von 3,12 Metern. Dieser Zielerfassungsbereich geht über die durchschnittliche Breite und Höhe eines PKW bereits hinaus (vgl. Böttger in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi‐Verfahren, 3. Aufl. Rdnr. 1322). Die Zuordnung einer Messung zu dem anvisierten Fahrzeug ist bei einer solchen Entfernung nur dann sichergestellt, wenn sich während des gesamten Messvorgangs nur dieses eine Fahrzeug innerhalb der kreisförmigen Zielmarke befindet (vgl. Böttger a. a. O., Rdnr. 1322; Löhle, a. a. O., Rdnr. 358). Hierzu sowie zu ‚dem Verkehrsaufkommen zum Zeitpunkt der Messung verhält sich die Aussage des Zeugen nach den Urteilsgründen nicht, eben so wenig dazu, ob es sich bei dem Fahrzeug des Betroffenen um ein Einzelfahrzeug gehandelt hat, so dass das Amtsgericht bei Anwendung pflichtgemäßen Ermessens jedenfalls vor einer Klärung dieser Fragen nicht annehmen konnte, dass die beantragte Beweiserhebung nicht erforderlich sei.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Dortmund zurückzuverweisen. Allerdings konnten die von dem Verfahrensverstoß nicht betroffenen und rechtfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur der Fahrereigenschaft des Betroffenen sowie dazu, dass er bei der Fahrt am 11.06.2012 seinen Führerschein nicht mit sich führte, aufrecht erhalten werden.
Giesert
Ausgefertigt
Hamm
Geschäftsstelle des OLG